Unsere Einsätze an der Blindenschule in Asmara, Eritrea

Im Auftrag der Aktion Lichtblickunterstützt COM-M die Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea.

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Das Eingangstor zur Abraha Bahta Blindenschule in Asmara

Die Vorgeschichte

Im Sommer 2016 wurden wir von der Schweizer Stiftung Aktion Lichtblick angefragt, einen Blindenschriftdrucker für die Abraha Bahta Blindenschule in Asmara (Hauptstadt Eritreas) zu liefern. Herr Paul Loosli von „Aktion Lichtblick“ und erfahrener Eritreaexperte hatte die Schule im Vorfeld mehrfach besucht und konnte uns in etwa sagen, wie und mit welchen Mitteln dort bis Dato Informatik betrieben wurde. Er war es auch, der die nötigen Kontakte zum Erziehungsministerium Eritreas knüpfte, auf dessen Einladung unsere Einsätze jeweils stattfinden.

Wir fanden bald heraus, dass die Lieferung eines Punktschriftdruckers keineswegs die Probleme lösen würde, welche die Schule bei der Punktschriftproduktion hatte. Vielmehr würde ein Wissenstransfer dringend von Nöten sein, ohne den der gelieferte Drucker wohl bald zur Investitionsruine mutieren würde.

Die Mentalität in Eritrea war uns bislang gänzlich unbekannt. Deshalb hat Paul Loosli, ein langjähriger Kenner des Landes, in zahlreichen Gesprächen vor Ort einen Einsatz aufgegleist, welchem der Arbeitstitel „Train Theo Trainer“ gegeben wurde. Der damalige Schulleiter, Ainalem Tezare Solomon, hat in der Folge ein sehr präzises Anforderungskonzept erstellt.

Dies war unabdingbar, denn weder die Stiftung ALB, noch wir als Com-M wollten den Eritreern einfach ein Projekt präsentieren und dann vor Ort implementieren. Vielmehr legten wir großen Wert darauf, dass die Blindenschule selbst ihre Bedürfnisse und Wünsche an uns formuliere. Dies entspricht im Übrigen absolut zeitgemäßer Entwicklungshilfe.

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Der Pausenhof, der Abraha Bahta Blindenschule, auf dem die Kinder, dank des meist schönen Wetters viel Freizeit verbringen

Die Umsetzung

COM-M bzw. ihr blinder Betriebsleiter Martin Mischler erarbeitete in der Folge zwei Unterrichtskonzepte in englischer Sprache: Das Eine trägt den Titel „Mouseless Windows“, das Andere heißt „Mouseless Office“. Die beiden Lehrgänge ermöglichen die Bedienung von Windows und Office, ohne dass dazu eine Maus oder ein Trackpad benutzt wird. Sämtliche Bedienschritte werden ausschließlich durch Tastenkombinationen vorgenommen.

Beide Konzepte wurden als Unterrichtsskripte erarbeitet, welche die Lehrer vor Ort auch später an die zukünftigen Schüler aushändigen können. Wir haben sämtliche Materialien sowohl in Schwarzschrift (normaler Laserdruck), wie auch in Blindenschrift erstellt und mitgenommen.

Ein weiteres Trainingsmodul bezog sich ausschließlich auf das Braille Production Center. Drei Mitarbeiterinnen arbeiten dort. Sie produzieren Blindenschriftmaterial sowohl für die Schüler der Abraha Bahta Blindenschule, als auch für blinde Leser im ganzen Land. Flankiert wurde unser Einsatz von der Lieferung von 7 PC-Systemen und 7 Braillezeilen, welche ebenfalls durch die Stiftung ALB gespendet wurden.

Erster Einsatz 12.02. – 23.02.2018

Meine Frau Claudia, der die Fa. Com-M gehört, unser Sohn Thorsten und ich wurden während dieser Zeit sehr gut betreut von Rahma Loosli, der eritreischen Gattin von Paul Loosli. Wir fanden bei unserer Ankunft insgesamt drei Brailledrucker vor: Den von der Stiftung ALB gespendeten INDEX Everest D V5, sowie zwei Modelle Index Everest D V4, welche von einer anderen Organisation gestellt wurden, sowie einige alte Computer.

Als erstes konfigurierten wir die Drucker nach den Bedürfnissen des Braille Production Center, welches Teil der Abraha Bahta Blindenschule ist. Die alten PCs bereiteten wir, so gut es ging, für die Aufbereitung von Blindenschrift vor. Sodann trainierten wir das Personal in der Anfertigung von Brailledruck mit den neuen Maschinen.

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Brailledrucker und Braillezeilen im Einsatz

Wir waren sehr erfreut darüber, dass die drei Mitarbeiterinnen im Braille Production Center nicht nur hoch motiviert waren, sondern bereits über Kenntnisse in der Punktschriftproduktion verfügten. Zwei von ihnen (beide sehend) können sogar perfekt Blindenschrift schreiben, auch in der Landessprache Tigrinya.

Nach etwa 5 Arbeitstagen konnte das Braille Production Center mit allen drei Druckern seinen Betrieb aufnehmen. An zu druckendem Material fehlte es nicht, denn der einzige Brailledrucker, der bis anhin an der Schule eingesetzt wurde, war seit mehr als einem Jahr defekt.

In der verbleibenden Zeit wollten wir 5 ausgewählte, blinde Lehrer an Hand der mitgebrachten Kursunterlagen unterrichten. Sehr bald mussten wir feststellen, dass keiner der Kandidaten das 10-Finger Schreiben beherrschte. Diese Fähigkeit ist eine Grundbedingung, ohne die man als blinder Mensch keinen Computer vernünftig bedienen kann.

Schnell wurde uns klar, dass im Laufe eines zweiten Einsatzes ein Kursmodul her musste, welches diese Befähigung vermittelte. Erst Dann würde der eigentliche Informatikunterricht Sinn machen.

Während des gesamten Einsatzes leistete auch meine Frau, ihrerseits ausgebildete Blindenlehrerin, unverzichtbare Hilfe.

Zweiter Einsatz 23.04. – 29.04.2019

Zurück in Europa planten wir bereits den nächsten Einsatz und erarbeiteten, wiederum im Auftrag der Stiftung Aktion Lichtblick, ein Kursmodul für blinde Lehrer mit dem Titel „Workshop 19). In ihm werden Lage und Bedeutung jeder PC-Taste durchgenommen, sowie, mit welchem Finger sie gedrückt wird. In Deutschland und der Schweiz werden solche Programme im Rahmen von Wochenkursen durchgearbeitet. Unsere „Schüler“ haben es in vier Tagen geschafft.

Nun ist das Erlernen der Computertastatur eine Sache, das Training, will heißen die Routine, eine ganz andere. Hier setzen wir nun ganz auf die Anstrengungen der Schulleitung, ihre Lehrer zum ständigen Üben zu motivieren.

Des Weiteren wurde im Rahmen dieses zweiten Einsatzes, welchen im Übrigen ALB Stiftungspräsident Paul Loosli begleitete, wiederum im Braille Production Center Hand angelegt: Die 7 von der Stiftung ALB gespendeten PC-Systeme waren jetzt alle aufgebaut, jedoch mussten sie noch blindentechnisch konfiguriert werden.

Ausblick

Mit den Fähigkeiten, welche die Lehrkräfte nun erlangt haben, sind wir in der Lage, das eigentliche PC-Training zu beginnen. Besonderes Augenmerk soll dabei auf den Einsatz der 7 Braillezeilen gelegt werden. Der Einsatz einer Braillezeile ist für einen blinden PC-Anwender unverzichtbar, wenn alphabetsnah gearbeitet werden soll. Für 2020 ist somit ein weiterer, 1-wöchiger Einsatz geplant. Bereits jetzt jedoch wird Wissen, welches wir vermitteln konnten, für den Unterricht eingesetzt.

Das Land

Eritrea liegt im Nordosten Afrikas. Es hat im Norden eine lange Grenze zum Sudan, im Westen und Südwesten eine zu Äthiopien, und im Osten eine zum roten Meer. Fläche: 121100 Quadratkilometer, Einwohnerzahl ca. 5.2 Mio.

Das Land war bis zum zweiten Weltkrieg italienische Kolonie. Danach wurde es kurzzeitig von England verwaltet und 1960 Äthiopien zugeschlagen. Von 1961-1991 führte eine Untergrundarmee, welche in der Bevölkerung breiten Rückhalt hatte, einen verlustreichen Befreiungskrieg. Als 1991, in der Niedergangsphase des realen Sozialismus, in Äthiopien das Regime von Mengistu Hailemariam abdanken musste, gewährte die äthiopische Übergangsregierung Eritrea die Unabhängigkeit.

1993 wurde schließlich, unter Uno-Vermittlung und -Beobachtung, ein Referendum über die Unabhängigkeit durchgeführt. Dieses wurde von internationalen Wahlbeobachtern als fair bezeichnet und mit über 90% gutgeheißen.

1998 kam es zu einem zwei Jahre dauernden Grenzkonflikt mit Äthiopien. Seither sah sich Eritrea in einer latenten, militärischen Bedrohungslage. Erst im Juli 2018 anerkannte die äthiopische Regierung den international vermittelten Grenzverlauf, was sofort zur Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen beiden Ländern führte. Es wurden Botschaften im jeweils anderen Land eröffnet, sowie Flug- und Telefonverbindungen zwischen beiden Ländern eingerichtet.

Nach der Unabhängigkeit ließ sich eine der beiden Befreiungsbewegungen an die Macht wählen. Seither hat es keine Wahlen mehr gegeben. Staatsoberhaupt ist der heute 73-jährige Präsident Iseyas Afewerki.

Die Reise

Wir wussten, dass wir in ein armes Land kommen würden. Wir dachten dabei an Wellblechsiedlungen, Favelas, schreiende Armut. Gespannt stiegen wir, im Februar 2018, um 1 Uhr Nachts, aus Istanbul kommend, in Asmara aus dem Flieger. Ein alter Bus brachte uns zum Abfertigungsgebäude. Es war kalt; in unseren Wintersachen waren wir keineswegs overdressed. kein Wunder, denn Asmara liegt auf rund 2300 m. über Meer.

Die Passkontrolle lief sehr schleppend, doch nach einer Stunde wurden wir plötzlich an Seite gerufen und separat abgefertigt. Bei der Zollkontrolle Dasselbe, und so waren wir um 2 Uhr Nachts dann im Taxi in unser Hotel.

Asmara präsentierte sich uns am nächsten Vormittag von seiner besten Seite: Zu erwartende Höchsttemperatur 25 Grad, sonnig, leicht windig. Die Atmosphäre auf den Straßen brachte mich zurück in meine Kindheit der Sechziger Jahre in einer Kleinstadt: Mäßiger Autoverkehr, Leute kamen vom Kirchgang nach Haus oder flanierten durch die Straßen, Kinder spielten draußen, es roch nach Sonntagsbraten. Die Gebäude, die Autos, dies alles ließ ein Gefühl aufkommen, als wäre die Zeit stehen geblieben, für den rastlosen Deutschen eine wohltuende Entschleunigung.

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Der Esel ein gängiges Transportmittel

Blinde sind meist berufstätig

Da viele, zumeist ältere blinde Eritreer ihr Augenlicht im Befreiungskrieg verloren haben, ist der Staat bemüht, sie in Brot und Arbeit zu halten. Viele von ihnen arbeiten als Lehrer, zumeist in Schulen für normal sehende Kinder. Dies geht in einem Land, wo noch Frontalunterricht erteilt wird. Wissensvermittlung eben, nicht Bildchen malen, wie bei uns. Im Übrigen gibt es blinde Juristen und andere Akademiker.

Die blinden Mitarbeiter der Schule, die wir angetroffen haben, ernähren alle eine Familie.

Die Infrastruktur Eritreas

Sie muss differenziert betrachtet werden. Gemäß einem Bericht, welchen wir im Vorfeld im eritreischen Fernsehen verfolgen konnten, wird das telefonische Festnetz nicht vorrangig ausgebaut, weil zu teuer. Stattdessen konzentriert man sich auf das Mobilfunknetz, und das kann sich wahrlich sehen lassen. Viele Eritreer haben ein Mobiltelefon. In Asmara ist die Abdeckung praktisch flächendeckend, meist mit einem 3g Signal. Auf unserer Reise ans rote Meer stellte ich fest, dass fast durchgehend 3g mit 3-4 Balken verfügbar waren, nur ab und zu ging das Signal mal runter auf 1 Balken. Das ist bei uns im Schwarzwald nicht so!

Man kann aus dem eritreischen Mobilfunknetzt zwar problemlos ins Ausland telefonieren bzw. von dort angerufen werden. Ausländische Sim-Karten können jedoch noch nicht benutzt werden. Die Elektrizitätsversorgung ist ein Sorgenkind, allerdings sind da in den letzten zwei Jahren große Verbesserungen möglich geworden. Während bis vor kurzem, selbst in Asmara, oft der Strom ausgefallen war, erlebten wir in 2 Wochen nur 2 Ausfälle zu je 30 Minuten.

Das Internet ist eindeutige Schwachstelle der eritreischen Infrastruktur: Der Aufbau einer Webseite dauert bis zu 20 Minuten, ein normaler E-Mail Verkehr ist nicht möglich. Wer schnelles Internet möchte, muss es sich über Satellit besorgen, was aber genehmigungspflichtig ist.

Ein Dauerthema im Land ist, wie fast überall in Afrika, die Wasserversorgung. In Asmara gibt es keinen Wassermangel. Die Stadt verfügt über große Rückhaltebecken, welche in der Regenzeit mit Regenwasser gefüllt werden, und dies ist dann das Trinkwasser für die ganze Stadt. Auf dem Lande hingegen arbeitet die Regierung ständig daran, neue Quellen zu erschließen und das Leitungsnetz aufzurüsten, mit dem Fernziel einer stabilen Wasserversorgung.

Vergessen werden darf dabei nicht, dass das Tiefland sehr heiß ist. In Massawa am roten Meer wird es im Sommer bis zu 50 Grad warm. Eine der heißesten Wüsten der Welt, die Danakil-Wüste, befindet sich im Südosten des Landes nahe der Stadt Assab.

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Esel transportieren Wasser

Am Rande beobachtet

Bei Privatbesuchen und der Reise nach Massawa sahen wir ein differenziertes Bild des Landes. Ja, es gibt Armut; allerdings nicht schreiende Armut im Sinne von Slums und Favelas. Wir haben leider auch Wellblechbehausungen gesehen, allerdings waren sie eher die Ausnahme. Die meisten Eritreer leben entweder in sehr kleinen Stadtwohnungen oder in einfachen Häusern, wobei Wasser oft in Regentonnen gesammelt und dann verbraucht wird.

Trotz dieser für uns sehr speziellen Wohnverhältnisse waren alle Menschen sehr gastfreundlich, was wir sehr zu schätzen wussten und was uns auch tief berührte, freute man sich doch, den bescheidenen Wohlstand zu teilen.

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Eine der wenigen Wellblechhütten, die wir gesehen haben

Sicherheitslage

Asmara, so wurde uns vor unserer ersten Reise gesagt, sei die sicherste Hauptstadt Afrikas. Dies hat sich bestätigt: Meine Frau, unser Kind und ich konnten abends um 8 Uhr problemlos ausgehen. Die Straßen waren mäßig belebt, die Straßenkaffees meist gut gefüllt.

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Ein typisches Lebensmittelgeschäft in Asmara

Wir verlassen Eritrea mit einer Menge von Eindrücken. Ich war froh, den afrikanischen Kontinent erstmalig in Asmara betreten zu haben und nicht in Kairo, Karthum oder Kapstadt. Asmara ist recht beschaulich und übersichtlich. Das Land ist uns, ich gebe es zu, ein wenig ans Herz gewachsen, und ich möchte meinen blinden Schicksalsgefährten dort helfen, den Anschluss an die moderne Informationstechnologie zu ermöglichen. Weitere Besuche sind somit vorprogrammiert.

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Ein Kamel

Abraha Bahta Blindenschule in Asmara, Eritrea
Der Strand von Massawa, bei einer Wassertemperatur von 28 Grad

 

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